Aachen News

Auswirkungen des Fachkräftemangels in Kitas und der Kindertagespflege

  • Der Fachkräftemangel in den Kitas hat vielfältige Gründe und hat sich über Jahre aufgebaut.
  • Die Coronapandemie hat die Situation verschärft, ist aber nicht die Ursache.
  • Die Stadt und die freien Träger präsentieren mögliche Lösungsansätze.

Der seit Jahren voranschreitende Fachkräftemangel in den Kitas und der Kindertagespflege in Aachen führt in immer mehr Einrichtungen der freien Träger und der Stadt Aachen zu gravierenden Problemen, die sich zunehmend auf die Qualität und Quantität der Betreuung und Förderung auswirken. Heinrich Brötz, Leiter des städtischen Fachbereichs Kinder, Jugend und Schule sieht dem mit Sorge entgegen: „Das Thema bewegt uns. Es betrifft die die gesamte Stadtgesellschaft.“ Es habe sich über die Jahre schleichend aufgebaut und sei durch die Pandemie „sichtbar gewachsen“. „Auf Seite der Stadt haben wir aber schon sehr früh versucht gegen zu steuern“, so Brötz.

Gemeinsam mit der AG78, einer Arbeitsgruppe aus Vertretungen der freien Träger und der Stadt Aachen, möchte die Stadt Aachen noch einmal verdeutlichen, was dies für Kinder, Familien und Beschäftigte konkret bedeutet, aber auch Lösungsansätze aufzeigen.

Die derzeitige Situation
Zurzeit stehen alle Kita-Träger und die Familien in Aachen wegen des Fachkräftemangels vor schwierigen Situationen. Die kontinuierliche Bildung, Erziehung und Betreuung können für die Kinder oft nicht entsprechend erfüllt werden. Eltern werden vermehrt gebeten, ihre Kinder selbst zu betreuen. Die Betreuungszeiten müssen verkürzt werden. Es gibt immer wieder Gruppenschließungen. Kinder mit Behinderung haben teilweise keine Assistenzkraft und können nur sehr eingeschränkt am Kita-Betrieb teilnehmen. Und: „Das Personalmanagement gestaltet sich zunehmend schwierig: Die Wechselbereitschaft bei Mitarbeiter*innen ist deutlich erhöht, wenn Wünsche nach zum Beispiel einem Parkplatz, besonderen Arbeitszeiten oder Arbeitsorten und weitere persönliche Sonderwünsche nicht erfüllt werden können“, beschreibt Heinz Zohren, Sprecher der AG78 und Geschäftsführer Pro Futura gGmbH, einem Aachener Kita-Träger, die Situation aus eigener Erfahrung. Der Druck auf die verbleibenden Mitarbeiter*innen stiege dadurch. Aber auch Eltern geraten bei Einschränkungen zunehmend unter Druck, etwa bei ihren Arbeitgeber*innen oder würden gebeten, Aufgaben in der Kita zu übernehmen. Zohren weiter: „Eine Flexibilisierung und Verlängerung der Öffnungszeiten sind zurzeit kaum zu realisieren.“

Die Unterschreitung eines Mindestwertes an Personal und die notwendigen Maßnahmen, die eingeleitet wurden, müssen von den Trägern gemäß § 47 SGB VIII an das Landesjugendamt gemeldet werden. Eine Meldung muss erfolgen, wenn die Personalbesetzung an fünf aufeinanderfolgenden Tagen den Wert von 80 Prozent unterschreitet. Der Landschaftsverband Rheinland geht davon aus, dass dann eine adäquate Betreuung und Förderung der Kinder nicht mehr gewährleistet oder sogar das Kindeswohl gefährdet ist. Der Träger ist verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um dem entgegenzuwirken, und muss diese benennen, etwa die Schließung einzelner Gruppen, der Kita oder eine Reduzierung der Öffnungszeiten. „Dies betrifft nicht nur einzelne Träger“, weiß Zohren. Über diesen Umstand wurde der Kinder- und Jugendausschuss der Stadt in seiner gestrigen Sitzung (Dienstag, 18. Januar) noch einmal detailliert informiert.

Bisherige Bemühungen
Dabei seien die Träger keinesfalls untätig gewesen und haben in eigener Verantwortung unterschiedliche Maßnahmen ergriffen, zum Beispiel Anzeigen in regionalen und überregionalen Zeitungen, die Nutzung von Social Media, Radiospots, Karten, die an öffentlichen Orten platziert wurden. Die Abteilungsleiterin „Kindertagesstätten und Kindertagespflege“ der Stadt Aachen, Beate Traeger, erinnerte an eine groß angelegte Marketingkampagne der Stadt zu diesem Thema. Aber auch die Anwerbung von Fachkräften aus dem benachbarten Ausland wurde versucht. „Gerade in den Niederlanden gibt es einen Überhang an ausgebildeten Fachkräften“, so Traeger. Recht erfolgreich war die Mitwirkung an der Ausbildung im Rahmen der Praxisintegrierten Ausbildung (PIA) für Erzieher*innen, Heilerziehungspfleger*innen und Kinderpfleger*innen, heißt, die angehenden Fachkräfte sind vom ersten Tag an in die Kitas eingebunden und nicht erst zum Ende der Ausbildung. Und die Träger stellen zu bestehenden Öffnungsklauseln mögliche Anträge auf Anerkennung von „anderen“ Fachkräften nach der Personalverordnung, etwa Theaterpädagog*innen oder Grundschullehrer*innen. Doch gerade beim Grundschulpersonal gebe es auch Engpässe, so dass aus dieser Richtung auch kein Personal zu erwarten sei.

Darüber hinaus hat auch der Fachbereich Kinder Jugend und Schule als öffentlicher Träger folgende Maßnahmen ergriffen: Einen Schriftwechsel mit dem Schulministerium mit der Bitte, zusätzliche Klassen für Erzieher*innen einzurichten. Dem Berufskolleg der StädteRegion „Käthe Kollwitz“ wurden in den letzten Jahren zusätzliche Räume von der Stadt zur Verfügung gestellt. Gemeinsam mit den anderen regionsangehörigen Kommunen der StädteRegion Aachen wurden an das Jugendministerium ein dringliches Schreiben zum Fachkräftemangel gesandt. Der Fachbereich nimmt teil an einer Arbeitsgruppe von Jugend- und Schulministerium zum Thema „Fachkräftemangel“.

Gründe für die Entwicklung
Bettina Konrath, Sprecherin der AG78 und Geschäftsführerin Familiäre Tagesbetreuung e.V., nennt vielfältige Gründe: „Eine Erweiterung der Betreuungsplätze und der Betreuungszeiten, eine zunehmende Zahl von Fachkräften, die in den Ruhestand gehen, zusätzlicher Personalbedarf zur Sicherstellung der Inklusion, der Ausbau der Offenen Ganztagsschulen, in den auch pädagogisches Fachpersonal benötigt wird, ein recht hoher Krankenstand, Beschäftigungsverbote während der Schwangerschaft.“ Auch die Rahmenbedingungen für die Mitarbeiter*innen in den Kitas, unter anderem die Fachkraft/Kind-Relation oder indirekte Zeiten zur Vorbereitung, Nachbereitung und für Elterngespräche würden sich verschlechtern. Konrath stellt klar: „Die Betreuungszeiten und die Belastung haben auch in der Kindertagespflege zugenommen.“ In der Coronapandemie wird dieser Mangel jetzt überdeutlich, ist aber nicht die Ursache.

Mögliche Lösungsansätze
Stadt Aachen, die freien Träger und die Kommunalpolitik ziehen hier an einem Strang und wollen die Situation verbessern. So wäre eine befristete Ergänzung der Personalverordnung denkbar, um eine vorübergehende Anerkennung von Ergänzungskräften als Fachkräfte und eine begrenzte Einsatzmöglichkeit von Nichtfachkräften möglich zu machen. „Auch eine Veränderung der Personalverordnung ist eine Idee, um neben den Fachkraftstunden auch einige Ergänzungskraftstunden in den U3-Gruppen vor zu sehen, damit auch Kinderpfleger*innen dort eingesetzt werden könnten“, stellt Rita Baumbach, Sprecherin der AG78 und Fachbereichsleiterin Lebenshilfe Aachen e.V., Lösungsansätze vor. Eine schnellere Genehmigung von Anerkennungen von anderen Berufsgruppen nach Personalverordnung oder ausländischen Bildungsabschlüssen wäre wünschenswert. „Das kann schon mal bis zu sechs Monaten dauern“, weiß Baumbach. Die Schaffung von zusätzlichen Ausbildungsplätzen in Fachschulen und Studienplätzen für frühkindliche Bildung in Hochschulen sowie von zusätzlichen Studienplätzen in Studiengängen für Fachlehrer*innen für Sozialpädagogik seien extrem wichtig. Eine Erweiterung hin zu multiprofessionellen Teams, zum Beispiel zur Verwaltungsunterstützung oder Handwerker*innen mit pädagogischer Zusatzausbildung in großen Kitas, könnte das vorhandene Personal entlasten. Und: Die derzeit vom Land geförderten Alltagshelfer*innen sollten dauerhaft gefördert werden.

Politik, Verwaltung und freie Träger gemeinsam
Hilde Scheidt, Vorsitzende des Kinder- und Jugendausschusses der Stadt Aachen, sichert die Unterstützung der Politik zu: „Wir haben als Stadt und Politik immer wieder fraktionsübergreifend und einstimmig für entlastende Maßnahmen gesorgt.“ Der Beruf sein belastend und in den vergangenen Jahren zunehmend belastender geworden, ist sie überzeugt. Scheidt weiter: „Es ist wichtig, dass man diesen Beruf aufwertet, bei der Anerkennung, der Bezahlung und der Ausbildung.“ Dies sei in anderen Ländern – etwa im benachbarten Belgien – gang und gäbe. Dort sei die Ausbildung ein Studiengang und würde eine höhere gesellschaftliche Stellung haben und eine bessere Bezahlung.

Vorheriger ArtikelNächster Artikel