Angesichts des europaweiten Aufstiegs rechter Parteien fordert der niederländische Spitzenpolitiker Frans Timmermans eine klare Antwort der Linken. „Wer Asylsuchende für alles verantwortlich macht, von Wohnungsnot bis zur schlechten Gesundheitsversorgung, täuscht die Wähler“, sagte der frühere EU-Kommissar und langjährige Außenminister dem „Spiegel“.
Timmermans tritt bei den vorgezogenen Parlamentswahlen im Oktober mit großer Wahrscheinlichkeit als Spitzenkandidat eines linken Bündnisses aus Sozialdemokraten und Grünen an.
Bereits bei der vergangenen Wahl im November 2023 hatte er versucht, Premierminister zu werden. Damals wurde jedoch die Partei für die Freiheit (PVV) von Geert Wilders stärkste Kraft.
Gegen das, was er als auf Angst basierende Politik der Rechten beschreibt, wolle er eine Politik der Zuversicht setzen, so Timmermans. „Wir müssen zeigen, dass es noch Träume gibt, die man verwirklichen kann, während die Rechte die Menschen nur an ihre Ängste kettet.“ Die Demokratie lasse sich nicht mit apokalyptischer Rhetorik retten, sondern mit konkreten Lösungen – etwa durch gerechtere Einkommensverteilung und eine realistische Migrationspolitik, die Kontrolle mit Solidarität verbinde.
In der Sicherheits- und Verteidigungspolitik fordert Timmermans mehr Eigenständigkeit Europas: „Derzeit geben wir fast drei Viertel unserer Verteidigungsausgaben außerhalb Europas aus. Wenn wir das ändern, ist das eine enorme Chance.“
Die Bedrohung durch Russland müsse ein Umdenken erzwingen: „Wir brauchen Europa. Wir müssen in Europa investieren. Und ich glaube, dieses Gefühl ist in der gesamten Europäischen Union weitverbreitet.“
Sparen dürfe nicht mehr das oberste Ziel in der europäischen Haushaltspolitik sein: „Wenn sogar eine CDU-geführte Regierung in Deutschland sich entscheidet, Hunderte Milliarden für Verteidigung und Wirtschaftsförderung in die Hand zu nehmen, dann können wir auch in den Niederlanden so einen Schritt gehen.“
Die rechte Regierung unter der Partei von Wilders sei gescheitert: „In dieser Zeit wurde absolut nichts erreicht“, so Timmermans. „Das Vertrauen in die Politik ist so niedrig wie nie.“ Rechte Politiker hätten in den vergangenen Monaten das um sich greifende Gefühl eines Kontrollverlusts angesichts von Krisen und Kriegen besonders gut für sich genutzt. „Man darf die emotionale Kraft der Rechten nicht unterschätzen“, sagte Timmermans.
„Wir müssen Menschen von dem Eindruck wegbringen, dass nur noch die Radikalen für sie sprechen.“
Er setze bei diesem Überzeugungskampf auf Vernunft: „Wenn es nur noch um Gefühle geht und nicht mehr um tatsächlich umsetzbare Lösungen, wird die Politik- und Demokratieverdrossenheit immer größer. Ich will mich diesem ergebnislosen Emotionalisieren nicht anschließen.“ (dts Nachrichtenagentur)