Damit Verteilungskonflikte im Gesundheitswesen nicht auf den Schultern von Ärzten und Pflegepersonal ausgetragen werden, hat die scheidende Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, eine grundsätzliche Weiterentwicklung des solidarischen Systems gefordert. „Es wird eine Zeit auf uns zukommen, in der wir uns gesellschaftlich wirklich werden fragen müssen: Was ist wichtig? Was sind unsere Prioritäten?“, sagte sie der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.
Das deutsche Gesundheitssystem gehört Buyx zufolge zur Weltspitze.
Bisher profitiere hierzulande jeder Patient auch von neuesten medizinischen Entwicklungen. „Im Prinzip gab es für jeden mehr oder weniger alles“, sagte sie. Angesichts von Hightech-Medizin, Fachkräftemangel und einer alternden Gesellschaft gerate die Versorgung aber zunehmend unter Druck. „Es kann auch auf uns zukommen, dass wir uns eben nicht mehr alles werden leisten können“, warnte die Professorin für Ethik der Medizin und Gesundheitstechnologien an der TU München.
Deshalb brauche es explizite und transparente Kriterien für die Zuteilung von Leistungen, etwa „kostensensible Leitlinien“ wie in anderen Ländern.
Man müsse grundsätzlich diskutieren: „Wer soll wie viel von welchem Fortschritt haben? Wie wichtig soll uns Grundversorgung sein? Wie wichtig ist Prävention?“
Bisher gilt Buyx zufolge bei Ressourcenengpässen in der Praxis: „Da wurschtelt man sich irgendwie durch.“ Im Zweifelsfall wäge der Arzt am Krankenbett zwischen Patientenwohl und Kassenlage ab.
Am solidarischen Fundament der Gesundheitsversorgung will die Medizinethikerin unterdessen auf keinen Fall rütteln. „Ein solidarisches Gesundheitssystem ist volkswirtschaftlich eine gute Sache, es ist sozial eine gute Sache, es ist in jeder Hinsicht eine gute Sache“, sagte sie. Wenn man den harten Fragen einer medizinethischen Verteilungsdiskussion nicht ausweiche, könne eine Priorisierung das Versorgungsniveau womöglich sogar verbessern.
Alena Buyx gehört dem Deutschen Ethikrat seit 2016 an.
Nach dem Ende ihrer zweiten Amtszeit als Vorsitzende scheidet sie Ende April turnusgemäß aus. (dts Nachrichtenagentur)